Die Rolle der Zuchtverbände für eine qualitätsvolle Zucht - Ein Pladoyer für mehr Engagement für die Gangpferde
FAKTEN UND ZAHLEN
In Deutschland gaben laut einer Studie des Marktforschungsunternehmens IPSOS aus dem Jahr 2019 rund 11,2 Millionen Befragte über 14 Jahren an, Interesse an Pferd und Pferdesport zu haben. Die Studie ermittelte auch die Zahl der Pferdesportler in Deutschland: 2,32 Millionen Menschen bezeichnen sich selbst als Reiter*, darunter 840.000 regelmäßig aktive Reiter und 1,48 Millionen Gelegenheitsreiter. 700.000 Menschen würden gerne reiten oder wieder in den Sport einsteigen.
Außerdem gibt es etwa 600.000 Haushalte mit Pferdebesitz in Deutschland sowie 920.000 Haushalte mit einer Reitbeteiligung.
Laut der oben genannten Studie sind in etwa 12-13% der 2,32 Mio Reiter Gangpferdereiter, also 278.000.
Mehr als 50% aller Reiter, also mindestens 1,16 Mio Reiter, bevorzugen das Ausreiten, heißt bei mindestens 50% der Reiter kann man wie bei dem typischen Gangpferdereiter davon ausgehen, dass typische Attribute eines guten Freizeitpferdes für diese Reiter interessant sind wie: Freundlich, leichtrittig, nervenstark, robust, trittsicher, gesund und belastbar.
(Quelle: Pferdesport in Deutschand, FN)
Die Universität Göttingen hat sich unter anderem mit den Besonderheiten des „typischen Gangpferdereiters“ befasst. Gemäß der Studie der Universität Göttingen, sind „Leistungsgedanken und Turnierteilnahmen für den größten Teil der Gangpferdereiter unwichtig.“ 81,5% der Gangpferdereiter sind vielmehr reine Freizeitreiter mit keinem oder lediglich geringem Interesse an Turnierteilnahmen und 18,5% sind turnierorientierte Reiter. Lediglich 3,1% der Gangpferdereiter finden Reiten im Verein am Schönsten.
Die Göttinger Studie kommt zu dem Schluss, dass es aufgrund der unterschiedlichen, genetisch veranlagten Gangarten der Pferde nicht verwunderlich ist, dass für Gangpferdereiter die Rasse und auch die Abstammung eines Pferdes beim Kauf eine besonders wichtige Rolle spielen – so geben knapp 85 Prozent von ihnen an, klare Präferenzen hinsichtlich der Rasse ihres Pferdes zu haben. Damit lassen die Gangpferdereiter die Vertreter der anderen Reitweisen weit hinter sich.
Die Studie fasst den typischen Gangpferdereiter wie folgt zusammen:
Gangpferdereiter …
✓ sind in der Mehrzahl Freizeitreiter ohne Turnierambitionen
✓ sind oft Besitzer mehrerer Pferde
✓ legen Wert auf Rasse und Abstammung ihrer Pferde
✓ finden Funktionalität wichtiger als Marken
✓ lieben Naturerlebnis, Entspannung und Geselligkeit
(Quelle Reiterleben Reiterwelten, Georg-August-Universität Göttingen Lehrstuhl “Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte”, Christina Ikinger Dr. Christina Münch Katharina Wiegand Prof. Dr. Achim Spiller)
ZUCHTVERBÄNDE UND ZUCHTRECHT IN DEUTSCHLAND
„ Ziel eines Zuchtverbandes ist die Verbesserung oder Erhaltung der jeweiligen Rassen, für die der Zuchtverband zuständig ist. Die Zuchtverbände legen das Zuchtziel fest. Sie fördern den Informationsaustausch unter Züchtern und die Vermarktung der gezogenen Tiere.“
Da der größte Anteil der Gangpferdezüchter „nur“ hobbymäßig züchtet und die Gangpferdereiter das Reiten als Gestaltung ihrer Freizeit ausführen, sind sich die Wenigsten über das außerordentlich komplexe europäische Zuchtrecht bewusst, das von der Definition und Einordnung eines Zuchtpferdes (was zB weitreichende zollrechtliche und steuerliche Folgen haben kann) bis zu Aufgaben der Zuchtverbände und kontrollierenden Behörden, alles bis ins kleinste Detail regelt.
Nahezu alle Zuchtverbände widmen ihre Zeit, Aufwand, Wissen, Veranstaltungen und Personal der Zucht klassisch in Deutschland gezogener Rassen. Vorneweg natürlich der Warmblüter und sonstigen Dressur-, Spring- und Rennpferderassen.
Die Rassen, die klassisch als Freizeitpferde gezogen werden, werden ohnehin meist stiefmütterlich unter der Gruppe „Pony und Sonderrassen oder Spezialpferderassen“ zusammengefasst. Hier findet sich ein Sammelsurium unterschiedlichster Pferde vom Gangpferd über Shettys bis zu Kaltblütern, die untereinander meist so viel gemeinsam haben wie Pikinese und Wolfshund. Für die Gangpferderassen kommt erschwerend hinzu, dass es keine Gangpferderasse gibt, die in Deutschland ihren Ursprung hat. Auch nicht der Aegidienberger, dessen Zuchtidee zwar in Deutschland entsprungen ist, der aber eine Kreuzung von Rassen nicht deutschen Ursprungs ist.
GANGPFERDE IM DEUTSCHEN ZUCHTVERBANDSGESCHEHEN
Eine Rasse, die ihren Ursprung nicht in Deutschland hat, hat zwangsläufig ihren Ursprung im Ausland. Dieses „Ursprungsland“ wird im entsprechenden Zuchtprogramm nicht nur benannt, es ist vielmehr führend für alle Regelungen, die sich in dem in Deutschland (oder EU) verfassten Zuchtprogramm finden. Hier besteht für deutsche Züchter häufig schon ein Problem, weil sie ständig zwischen Drittland Regelungen, die nur dort Geltung finden wo sie dem EU recht nicht widersprechen und dem Europäischen Zuchtrecht, schlingern. Die deutschen Zuchtverbände erhalten von den Züchtern der Gangpferderassen zwar die gleichen Gebühren und Mitgliedsbeiträge, oft zusätzlich auch noch die ausländischen Organisationen und Zuchtverbände, sie haben auf dem Papier auch ihnen gegenüber die identischen Aufgaben zu erfüllen, allerdings fühlt sich Niemand so richtig zuständig und es besteht wenig Engagement für unsere Exoten entsprechendes Know how aufzubauen. So kann es zum Beispiel vorkommen, dass es sich von einer Körveranstaltung diverse Berichte auf Webseite und sozialen Medien wiederfinden lassen mit zahlreichen Bildern und Ergebnislisten aber das teilnehmende Gangpferd nicht mal in der Ergebnisliste zu finden ist, geschweige denn auf einem einzigen Bild.
RASSEVEREINE - FLUCH, SEGEN ODER BEIDES?
Aus dieser Lücke entstehen häufig so genannte Rassevereine. Problem in diesem Zusammenhang ist jedoch, dass diese Vereine sich klassisch aus der klitzekleinen Gruppe der Vereinsreiter und Reiter mit Turnierambitionen entwickeln. (Bei den Gangpferdereitern maximal 3-18%, s.o.). Die Aufgaben, die eigentlich die Zuchtverbände ausführen müssten: Erhaltung, Verbesserung und Vermarktung der Rasse, wird dann dankend an diese Vereine abgedrückt. Vertreter dieser Vereine werden als Rassevertreter und Richter rekrutiert und bei Fragestellungen hinzugezogen und die Zuchtverbände reduzieren ihre Aktivitäten auf das Ausstellen von Pässen.
DIE FOLGEN FÜR DIE ENTWICKLUNG DER GANGPFERDERASSEN
Die Folge ist, dass sich die Zucht nicht an dem klassischen, nicht organisierten Gangpferdereiter wie oben zusammengefasst orientiert, der gerne in der Natur reitet, das Pferd als Familienmitglied sieht, das freundlich, leichtrittig, nervenstark und gesund ist aber auch genau die Gangveranlagung mitbringt, die der Freizeitreiter sucht (natürlich, einfach, taktklar veranlagt vor monströser Bewegung), sondern an den wenigen Pferden, die auf Turnieren geshowt und gehypt werden und somit orientiert sich die Zucht an den Vorteilen derjenigen Züchter, Trainer und Vereine, die mit und von diesem kleinen Teil der Gangpferdeszene leben.
Dies, obwohl 85% der Gangpferdereiter sehr großen Wert auf die Rasse und den rassetypischen Gang legen (s.o.), sprich, obwohl sie reine Freizeitreiter sind, die Gangverteilung und Veranlagung besonders wichtig einschätzen und somit auf eine gute Zucht angewiesen sind, wenn sie hinterher mit dem gekauften Pferd zufrieden sein wollen.
Hier driften Anforderungen des Großteils der Gangpferdereiter und der Zucht der Gangpferde, die diese Reiter später reiten sollen, in einem unerträglichen Maße auseinander!
Wir sprechen hier keinesfalls von einem zu vernachlässigenden Anteil von Reitern, sondern von einer sehr großen Anzahl von Reitern und letztlich auch von wirtschaftlicher Kaufkraft, denn Freizeit ist gerade für Gutverdiener kostbar und will nicht mit Ärger verschwendet sein.
Die Folgen dieser Art des Zuchtgeschehens lässt sich seit Jahrzehnten beobachten. Am eindrucksvollsten ist diese Entwicklung sicherlich bei einem Peruaner, der wegen DSLD nicht mehr laufen kann und einem Isländer, der sich vom robusten Familienpferd zum hochsensiblen Pulverfass mit hohem Anteil nicht töltender Pferde entwickelt hat, dessen Eigentümer vorziehen mit dem Liegestuhl im Offenstall beim Fressen zuzusehen als mit ihrem Vierbeiner das traumhafte Ausreitgelände oder auch Rundbahn zu genießen. Die Folge sind Wanderpokale, frustrierte Reiter und sinkende Preise, zu denen eine verantwortungsvolle Zucht fast nicht mehr möglich ist, sofern man nicht für das 15% Turniergeschehen den Oberstrampler züchtet.
Ich sehe mich selbst als Freizeitreiter mit geringem Turnierinteresse. Wir haben unsere Leidenschaft zu den Speed Racking Horses zu unserer Lebensaufgabe gemacht. Unser Herz schlägt für diese Pferde. Deshalb möchten wir, dass diese Pferde bleiben wie sie sind und wofür wir sie lieben.
Mir geht es wie den allermeisten berufstätigen Menschen mit Familie: Meine Freizeit ist ein knappes, kostbares Gut. Nicht immer habe ich die Zeit, regelmäßig zu reiten und es gibt Zeiten, in denen ich wochenlang nicht zum Reiten komme. Umso wichtiger ist für mich ein natürlich veranlagtes Pferd, das dann nicht alles vergessen hat, sondern nur konditionsmäßig wieder aufgebaut werden muss. Ein Pferd das trotzdem klar im Kopf ist und sich genau so freut wie ich, gemeinsam im taktklaren Viertakt durch den Wald zu flitzen, das sich trägt, gesund für es selbst und gleichermaßen schön anzusehen, das mit zwei Fingern geritten werden kann, kein Druck von vorne und hinten oder mechanische Hilfsmittel nötig sind, um es in seinem natürlichen Gang zu reiten. Nur für uns Beide. Ganz ohne Zuschauer. Nur dafür, dass ich mich danach fühle wie nach einem kleinen Urlaub, in dem man alle Anspannung und Alltagsstress für kurze Zeit vergessen konnte. Diese blaue Schleife kann mir Niemand verleihen. Die schenkt mir nur alleine mein Pferd.
Julia Pernice, Speed Racking Horses Vogelstockerhof
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